„Wir sperren uns natürlich nicht gegen eine Arbeitszeitdokumentation. Aber diese muss praktisch handhabbar sein.“
von Gabriele Kaier, 18.07.2022
Der Gesetzesvorstoß des deutschen Arbeitsministers Hubertus Heil vom 1. Februar 2022 zur verpflichtenden elektronischen Arbeitsaufzeichnung in den Bau- und Gastronomiebranchen wurde vorerst zurückgestellt und wird derzeit geprüft. Verschiedene Interessenvertretungen, so auch der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), haben Bedenken angemeldet. Wir haben mit Heribert Jöris, dem Geschäftsführer für Sozial- und Tarifpolitik des ZDB gesprochen und gefragt, wo die Problemstellungen liegen und was eine digitale Arbeitszeiterfassung können muss, um auf der Baustelle praxistauglich zu sein.
„Nur eine Echtzeit-Erfassung macht Sinn, denn das würde ja sonst jede Zollkontrolle unterlaufen.“
Bereits im Herbst wollte der deutsche Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die verpflichtende digitale, manipulationssichere und sofortige Zeiterfassung in 11 Branchen, so auch beim Bau, einführen. Doch der dazugehörige Gesetzesentwurf stieß auf Widerstand bei den Verbänden, so auch beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). Welche Herausforderungen zuerst zu lösen sind und wie eine Arbeitsdokumentation am Bau ausschauen könnte, die funktioniert, das haben wir mit Heribert Jöris, Geschäftsführer für Sozial- und Tarifpolitik des ZDB besprochen. Hier geht’s zum Interview:
Nach dem Vorstoß des deutschen Arbeitsministers haben einige Verbände ihre Bedenken angemeldet. Was sind die Problemstellungen, die hier auf die Branche zukommen?
Dazu gibt es einen gewissen Hintergrund: Der deutsche Arbeitsminister stützt sich immer noch auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und geht davon aus, dass eine elektronische Aufzeichnungspflicht erfolgen muss. Dem widersprechen allerdings juristische Gutachten. Aber ich möchte es andersrum formulieren: Auch wenn es keine Pflicht aus Europäischem Recht gibt, dann könnte durch den deutschen Gesetzgeber eine entsprechende Regelung dennoch kommen. Das steht dem Arbeitsminister frei.
Der Bundesarbeitsminister hat angekündigt, dass das Thema elektronische Arbeitszeiterfassung nochmals angefasst werden soll. Dann müsste sich der Deutsche Bundestag mit der entsprechenden Regelung zur Arbeitszeiterfassung befassen. Es sei denn, einer der Koalitionspartner würde sich dagegen wenden. Dann könnte das Thema noch zurückgestellt werden. Das kann natürlich aber auch andere Gründe haben: Im Moment haben wir durch den Ukraine-Krieg, insbesondere auch in der Bauwirtschaft, einen massiven Anstieg der Materialkosten und somit große Belastungen. Man möchte unter diesen Umständen jetzt nicht noch mehr neue Vorschriften, mit denen sich die Unternehmen befassen müssen.
Das Thema elektronische Arbeitszeiterfassung ist ja nicht einfach dadurch lösbar, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einfach eine App entwickelt und deren Anwendung zur Pflicht macht. Die elektronische Arbeitszeiterfassung wird natürlich auch in unseren Gremien diskutiert.
Es gibt genügend Produkte und Anbieter, die sowas leisten können und wo die bestehenden Anwendungen unter Umständen nur noch an unsere tarifvertragliche Situation angepasst werden müssen. Damit sind aber noch nicht die wesentlichen Probleme gelöst.
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Mehr erfahrenWas muss eine Software Unternehmen aus der Baubranche bieten, damit der Einsatz im täglichen Betrieb realistisch ist und diese von den Unternehmen bzw. Arbeitenden auch angenommen wird?
Wir müssen dabei zwei Dinge unterscheiden: Bei der Hardware kann man es relativ einfach machen. Es müsste erstens natürlich ein mobiles Gerät sein und es müsste robust, für die Erfordernisse auf der Baustelle, sein. Idealerweise sollte das Gerät sowohl absolut wasserdicht sein, als auch aus großer Höhe herunterfallen können, ohne dass es kaputt geht.
Die Software muss natürlich darauf abgestimmt sein, dass sie die verschiedensten Anforderungen, die die Arbeitszeiterfassung sowohl von der Gesetzgebung, als auch von den Tarifverträgen stellt, erfüllen kann. D.h., dass nicht nur Kommen/Gehen/Pausen erfasst werden, sondern auch die entsprechenden Zuschlagsregelungen. Hier liegt allerdings ein Problem eher auf unserer Seite, da das letztendlich relativ einfach handhabbare und transparente Zuschlagsregelungen voraussetzt. Die wir zurzeit nicht haben.
Wir haben derzeit sehr stark verschachtelte, auch rechtlich unklare Zuschlagsregelungen. Eine Software kann letztlich nur dann gut arbeiten, wenn es quasi eine klare Vorgabe für die Programmierung gibt, also nach dem Motto: Wann ist welcher Zuschlag fällig. Dazu braucht man eine klare Vorgabe im Tarifvertrag. Derzeit sind die Vorgaben nicht klar. Darüber streiten wir uns mit der Gewerkschaftsseite. Und wenn das eben sehr komplex ist, dann fragt man sich, ob man Bedienfehler ausschließen kann. Das ist bei unseren tariflichen Zuschlagsregelungen leider noch nicht gewährleistet.
Ein kleines Beispiel: Nehmen wir eine Baustelle, bei der jetzt ein Mitarbeiter mit Schutzkleidung arbeiten muss, beispielsweise mit einer Atemschutzmaske. Wenn dieser Mitarbeitende auf die Baustelle kommt, dann muss dieser sich einstempeln, die Arbeit beginnt. Sobald der dann zur Schutzmaske greift und diese aufsetzt, ist derzeit ein Zuschlag fällig, also müsste er diesen einbuchen. Würde die Person dann zu einem Hochdruckreiniger mit einem bestimmten Druck greifen, dann würde wiederum der nächste Zuschlag fällig. Und wenn dann diese Arbeiten auch noch in 17 Meter Höhe versehen werden, dann kommt der nächste Zuschlag dazu.
Welche Formen der Zeiterfassung werden Ihrer Meinung nach benötigt, um eine Arbeitszeitdokumentation direkt auf den Baustellen durchführen zu können?
Natürlich kommt man um irgendeine Form der Zeiterfassung auf einer Baustelle nicht herum. Das schreibt ja auch das Gesetz bereits vor. Aber so lange es Erschwerniszuschläge in der heutigen Form gibt und das Bundesarbeitsministerium eine elektronische Zuschlagerfassung in dem Zeitpunkt vorschreibt, in dem der Anspruch auf den Zuschlag entsteht, funktioniert das auf einer großen Baustelle nicht mit einem festen Terminal.
Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, es wird in einem 4- oder 5-stöckigen Bürogebäude gearbeitet. Dann haben Sie unten, beim Zugang zur Baustelle ein Terminal. Wenn der Arbeiter oben anfängt zu arbeiten, muss sich dieser einbuchen. Wenn die Person dann im Laufe der Arbeit eine Atemschutzmaske aufsetzt, muss diese vier Stockwerke runter flitzen zum zentralen Terminal und sich wieder einbuchen etc. Das wird so nicht funktionieren.
Jeden einzelnen Arbeiters mit einem persönlichen mobilen Zeiterfassungsgerät auszurüsten, ist wiederum derzeit noch mit erheblichen Kosten verbunden. Ich weise dabei auch auf die unzähligen Kleinbaustellen hin wie beispielsweise Badsanierung oder Ausbesserung eines Pflasters auf einem privaten Grundstück. Diese werden oftmals nur von einem Mitarbeiter alleine erledigt. Für kleinere Betriebe bedeutet das eine erhebliche Kostenbelastung, da jeder Mitarbeiter mit einem eigenen Gerät ausgerüstet werden müsste. Ganz zu schweigen vom Aufwand bei der Wartung der Geräte oder der Korrektur von Fehlbuchungen. Ohne kostengünstige Lösungen im Handyformat, für mittelständische Bauunternehmen, die das Gros der Arbeitnehmer in der Branche stellen, geht es also auch technisch nicht.
Es macht ja auch keinen Sinn bei Kleinbaustellen, wo nur ein oder zwei Mitarbeiter rausfahren und das erledigen, ein Terminal aufzustellen. Aber aufgepasst: Zeiterfassungsterminals haben ja manchmal auch noch ganz andere technische Möglichkeiten, nämlich die Mitarbeiterkontrolle, wenn GPS eingebaut ist: Wo hält sich der Mitarbeiter gerade auf? Hier geht es nicht nur um die Abrechnung. Man will gegenüber Kontrollinstanzen klar machen, wer hält sich denn hier jetzt berechtigt auf der Baustelle auf und wer nicht.
So erfüllt die Zeiterfassung zwei Dinge: einmal den Nachweis, wie viel Arbeitszeit wurde wirklich geleistet. Aber das Terminal sagt auch: Wer hält sich denn jetzt legal auf der Baustelle auf und hat der auch Zugangsrecht? Derartige Funktionen müssen allerdings datenschutzrechtlich und betriebsverfassungsrechtlich abgeklärt werden. Sonst drohen sogar hohe Strafen.
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Mehr erfahrenDas würde bedeuten, dass zum Zweck der Nachweispflicht durchaus eine Echtzeit-Zeiterfassung benötigt wird?
Eine Echtzeiterfassung könnte zumindest ein Unterlaufen von Zollkontrollen verhindern. Denn wenn die Einbuchung durch den Mitarbeiter erst erfolgt, wenn der Zoll auf der Baustelle vorfährt, dann ist das noch keine manipulationssichere Lösung zur Schwarzarbeitsbekämpfung.
Wenn eine Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung also nicht nur dazu dienen soll, die Abrechnung für den Arbeitgeber am Ende einfacher zu machen, sondern auch um Schwarzarbeit wirksamer zu bekämpfen, dann würde man das so anlegen müssen, dass bei Arbeitsbeginn sofort mobil eingebucht wird. Die Möglichkeit sollte dann vorhanden sein, die Zeit live zu erfassen.
Das Thema Zuschläge ist derzeit ein sehr komplexes Thema und schwierig in einer Software abzubilden. Wie werden derzeit die Zuschläge in der Praxis angewendet?
Pi-Mal-Daumen. Also, da sind sich Arbeitgeber-Verband und Gewerkschaft einig. Es gibt hier interessanterweise so gut wie keine Rechtsstreitigkeiten. Ich vermute, dass die Praxis aufgrund der sehr komplexen Regelung, selber Wege gefunden hat, nach dem Motto: Okay, wir zahlen jetzt einfach auf jede Arbeitsstunde noch mal was oben drauf, irgendeine Zulage oder einen Zuschlag und damit sind alle zufrieden. Und nicht am Zettel anzukreuzen: Ich habe jetzt 12 Minuten mit Atemschutzmaske gearbeitet und außerdem 18 Minuten in 15 Meter Höhe. So sieht ja diese bestehende tarifliche Regelung tatsächlich aus. Somit hat sich die Praxis einen anderen Weg gesucht und gesagt: Das tun wir uns nicht an. Und zurecht.
Es ist schwierig in den Tarifverhandlungen, denn es gibt ein gewisses Gebarungsverhalten von Gewerkschaften, wenn mal etwas in einem Tarifvertrag drinnen steht, dann sollte es am besten gar nicht mehr da raus. Das erschwert uns dann die Reform der Zuschlagsregelung und damit am Ende auch eine Digitalisierung der Erfassung von Zuschlägen.
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Mehr erfahrenKönnte man diese Regelungen für die Unternehmen nicht vereinfachen, ohne den Mitarbeiter*innen damit zu schaden?
Wir finden da wenig Bereitschaft auf der Gewerkschaftsseite. Uns wäre sehr daran gelegen, das einfach und praktikabel zu gestalten. Aber irgendwo in der Mitte wird man sich dann halt treffen müssen. Sonst hat so eine Regelung keine Zukunft. Je mehr wir Gefahr laufen, dass so eine Regelung über den Gesetzgeber, so wie vorgeschlagen, scharf geschalten wird, desto mehr ist da die Gefahr, dass wir sagen, dann schließen wir sie zukünftig lieber gar nicht mehr ab.
Das ist ja kein Spaß für den Unternehmer. Damit meine ich jetzt nicht den Aufwand. Sondern diese haben unter Umständen hohe Bußgelder zu befürchten, wenn ihnen vorgeworfen würde, dass sie eine Pflicht zur digitalen Aufzeichnung von Arbeitszeiten und Zuschlagsregelungen nicht nachgekommen sind. Bei Verstößen würde sogar ein Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge drohen. Das heißt für uns: Eine Regelung, die nicht handhabbar, klar und eindeutig ist, kann auf Dauer keine Zukunft haben. Schon gar nicht Grundlage einer digitalen Erfassung werden.
Fazit von Heribert Jöris:
„Der am Ende auf den Knopf drückt, muss wissen wann.”
Ich finde TimeTac sehr interessant. Die Notbremse, die wir im Bereich Arbeitszeiterfassung bei der Gesetzgebung gezogen haben, war nicht motiviert, weil wir denken, dass alles was elektronisch ist, schlecht ist. Sondern sie ist alleine der Tatsache geschuldet, dass wir gesagt haben: So kann es mit der existierenden tariflichen Zuschlagsregelung im Baubereich nicht funktionieren. Denn wenn ein analoger Prozess nicht funktioniert und ich diesen nicht ändere, dann kann auch ein digitales Tool das nicht verändern. Eine schlechte Zuschlagsregelung, die elektronisch wird, macht die Zuschlagsregelung nicht besser.
Daran müssen wir arbeiten. Davon wird sich vielleicht die Regierungskoalition oder der Gesetzgeber nicht aufhalten lassen. Aber ob eine tarifrechtliche Regelung Bestand hat oder eben nicht, dazu bedarf es am Ende eines Konsenses der Tarifvertragsparteien. Je einfacher daher unsere Zuschlagsregelung wird, desto eher besteht die Chance, dass wir diese dann auch zukünftig in einer elektronischen Zeiterfassung dokumentieren können. Denn der am Ende auf den Knopf drückt, muss auch wissen, wann er auf den Knopf drücken muss.