Open Innovation – Problemlösung und Innovation von außen
von Gabriele Kaier, 14.06.2018
Open Innovation: Wussten Sie, dass die beste Lösung Ihres Innovationsproblems vielleicht von außerhalb Ihres Unternehmens, Ihrer Region oder gar aus einer anderen Branche kommen könnte? Warum das so ist und wie man Innovation durch analoge Wissensquellen aufspürt, können Sie in unserem aktuellen Expertengespräch mit Marion Poetz, außerordentliche Professorin für Innovationsmanagement an der Copenhagen Business School, erfahren.
Interview mit Marion Poetz
Open Innovation ermöglicht in Zeiten der Digitalisierung neue Wege zu Innovation und bringt radikal neue Ideen durch Einbindung unüblicher Wissensgeber wie zum Beispiel User und Experten aus anderen Unternehmen, Regionen oder sogar anderen Branchen. Gezielte Suchprozesse führen neue Innovationspartner zusammen. Wir haben mit Marion Poetz gesprochen. Marion Poetz beschäftigt sich in Ihrer Forschung unter anderem mit neuen Innovationspraktiken zur Problemlösung, die sich durch mehr Offenheit, Verteilung, Zusammenarbeit und Demokratisierung auszeichnen als traditionelle Modelle.
Warum kommen manchmal die besten Ideen für Innovation von außerhalb der Branche/Industrie?
Die besten Ideen kommen nicht zwangsläufig von außerhalb der eigenen Industrie. Abhängig vom Innovationsproblem bzw. den Innovationszielen geht es generell darum, das für die Lösung des jeweiligen Problems bestmögliche Wissen zu identifizieren und einzusetzen. Und dieses Wissen liegt oft auch in unüblichen Quellen wie zum Beispiel in kontextuell entfernten Industrien mit strukturell ähnlichen Problemstellungen, sogenannten „analogen Märkten“. Bei einem Open Innovation Projekt der Firma Johnson & Johnson haben beispielsweise Expert/innen aus der Computerchip-Industrie zur Verbesserung der Hygiene bei chirurgischen Operationen beigetragen. Beide Industrien waren mit einem strukturell ähnlichen Problem konfrontiert – sie brauchten hochgradig hygienische Arbeitsumgebungen. Warum Ideen aus solchen analogen Märkten besonders relevant für die Entwicklung von Innovationen sind hat zwei Gründe:
- Einerseits basieren sie auf Wissen im Zusammenhang mit strukturell ähnlichen Problemstellungen und können daher gut übertragen und oft mit nur wenigen Anpassungen im Zielmarkt angewandt werden.
- Andererseits hat unsere Forschung gezeigt, dass diese Ideen aufgrund der Unterschiedlichkeit der Kontexte und der geringen bis nicht vorhanden funktionalen Fixierung in Bezug auf bereits vorhandene Lösungen im Zielmarkt, parallel dazu einen hohen Neuigkeitsgrad aufweisen.
Neuartigkeit und Problemlösungspotential in Kombination sind die idealen Zutaten für erfolgreiche Innovation.
Warum und wie kann man Wissen aus analogen Märkten für die Entwicklung von Innovationen nutzen?
Wie vorhin erwähnt, kann man Wissen aus unterschiedlichen Industrien, aber strukturell ähnlichen – analogen – Problemkontexten übertragen um Problemstellungen in einem bestimmten Zielmarkt zu lösen. Dieses Wissen kann bei der Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen, Prozesse, Technologien oder Geschäftsmodelle (Inbound Open Innovation) genutzt werden. Es lässt sich aber auch für die Suche nach alternativen Anwendungsmöglichkeiten für bestehende Technologien in neuen Märkten mit strukturell ähnlichen Problemstellungen anwenden (Outbound Open Innovation).
Was bringt das Einbeziehen von Lead Usern und Experten aus analogen Märkten?
Unsere Forschung hat gezeigt, dass Lösungswissen aus analogen Märkten signifikant neuartiger ist als Lösungswissen aus dem Zielmarkt. Und, dass dieser Effekt bei den allerbesten Ideen besonders stark ausgeprägt ist. Wenn größere Innovationsschritte, sog. radikale Innovationen, angestrebt werden, ist es daher besonders relevant Lead User oder Experten/innen aus analogen Bereichen in die Entwicklung von Innovationen mit einzubeziehen.
Was ist der Vorteil von Problemlösung aus analogen Märkten gegenüber klassischen Methoden des Innovationsmanagements aus dem Zielmarkt? Warum nicht Wissen und Erfahrung im jeweiligen Zielmarkt wie aus der eigenen F&E-, Marketing- oder Design-Abteilung nutzen? Was ist die kreative Kraft von Analogien?
Individuen und Organisationen sind stark von ihrem Erfahrungswissen geprägt. Sie sind daher oft nicht in der Lage, bekannte Problemlösungsstrategien in neuartiger Weise oder in veränderten Situationen anzuwenden. Sogar führende Expert/innen oder Lead User sehen Lösungen meist nur innerhalb ihrer eigenen Vorstellungs- und Erfahrungswelt. Diese funktionale Fixierung führt dazu, dass neue Lösungen häufig sehr ähnlich zu den bestehenden sind und dadurch größere Innovationschritte erschweren. Lead User oder Expert/innen aus analogen Märkten haben zwar Wissen im Zusammenhang mit strukturell ähnlichen Problemkontexten, sind aber im Vergleich zu ihren Pendants im Zielmarkt nicht durch Zielmarkterfahrung in ihrer Kreativität eingeschränkt.
Schlussendlich gelingt erfolgreiche Innovation aber nur über ein Miteinander, so wie es zum Beispiel im Rahmen von Lead User Projekten erfolgt. Hier arbeiten unternehmensinterne F&E Experten und Lead User aus dem Zielmarkt gemeinsam mit Lead Usern aus analogen Märkten an der Entwicklung von radikalen Innovationen.
Wie kann man entsprechende analoge Bereiche finden, um sich Ideen und Know-How zu erschließen? Wie bringt man Leute zusammen, die in verschiedenen Bereichen/Branchen arbeiten, aber das gleiche Problem haben oder das gleiche Bedürfnis teilen?
Hier gibt es verschiedene Suchstrategien und Kooperationsmöglichkeiten, sowohl offline als auch online. Sowohl Pyramiding Search als auch Broadcast Search haben sich als Suchmethoden zur Identifikation von Wissen aus analogen Bereichen bewährt. Wichtig dabei ist es, die der Suche zugrunde liegende Problemstellung so zu formulieren, dass Verweise in analoge Märkte (Pyramiding Search) sowie Selbstselektion von potentiellen Wissensgeber/innen aus analogen Märkten (Broadcast Search) auch tatsächlich stattfinden können. Eine systematische Suche in bestehenden Datenbanken, wie beispielsweise Patentdatenbanken, kann in manchen Fällen ebenfalls zur Erschließung von Wissen aus analogen Bereichen beitragen. Kooperationsprozesse zum Beispiel in Form von Workshops sind unserer Erfahrung nach dann erfolgreich, wenn sie zumindest zu einem gewissen Grad moderiert werden, insbesondere dann wenn die kontextuelle Distanz zwischen Zielmarkt und analogen Märkten sowie zwischen unterschiedlichen analogen Märkten sehr hoch ist.
Können Sie uns ein praktisches Anwendungsbeispiel schildern?
In einem Open Innovation Projekt bei dem es um die Entwicklung von innovativen Lösungen für die sichere, schnelle und benutzerfreundliche Montage und Demontage von Mitnahmestaplern gegangen ist, konnten wir insbesondere mit Hilfe von Pyramiding Search Lead User und Experten aus analogen Märkten identifizieren: Beispielsweise im Bereich der Montage und Demontage von landwirtschaftlichen Geräten an Traktoren oder im Zusammenhang mit der Montage und Demontage von Eventausrüstung für Shows und Konzerte. Gerade aus letzterem Bereich, ein ferner analoger Markt mit wenigen Gemeinsamkeiten an der Oberfläche, aber einem strukturell sehr ähnlichen Problem, haben wir sehr wertvolles Wissen zur Entwicklung von Innovationen im Zielmarkt erhalten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Open Innovation ist die gezielte, systematische Öffnung von Innovationsprozessen in Organisationen, seien es Unternehmen, Forschungseinrichtungen oder die öffentliche Hand. Verschiedene Open Innovation-Techniken wie zum Beispiel Crowdsourcing, die Etablierung von User-Communities und Innovationsnetzwerken bringen neuartige innovative Lösungen, eine Verkürzung der Entwicklungszeiten und eine Reduktion der Entwicklungskosten mit sich. Auf der Suche nach Innovation im Unternehmen, sollten Sie in Erwägung ziehen, kreative Menschen aus analogen Feldern mit einzubeziehen. Diese sind thematisch nicht eingeschränkt und folgen keinen mentalen Schemata der eigenen Berufswelt. Obwohl Sie vielleicht wenig von Ihrem Spezialgebiet wissen, können Sie aber möglicherweise gerade deswegen mit bahnbrechendem Denken aufwarten.
Zur Person
Marion Poetz ist außerordentliche Professorin für Innovationsmanagement am Department of Innovation and Organizational Economics der Copenhagen Business School (CBS) und wissenschaftliche Leiterin des Open Innovation in Science Research and Competence Center (OIS Center).
Über TimeTac
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