Wie setzt man agiles Arbeiten im Unternehmen um?
von Gabriele Kaier, 20.10.2020
Ausgelöst durch Corona, begaben sich Anfang 2020 deutsche Unternehmen quasi, so weit möglich, geschlossen ins Home-Office. Innerhalb weniger Wochen musste eine digitale Arbeitskultur und agiles Arbeiten umgesetzt werden, was zuvor oft Monate/Jahre benötigte. Die Anpassung an die digitale Arbeitskultur ist für viele Unternehmen eine komplexe Herausforderung. Wir haben mit Britta Redmann, Rechtsanwältin und Expertin für agiles Arbeiten gesprochen und sie gefragt, wie Unternehmen es schaffen, sich unter den vorhandenen rechtlichen Rahmenbedingungen flexibler und agiler aufzustellen.
Agiles Arbeiten rechtskonform gestalten
Unternehmen, denen es gelingt, eine schnelle Anpassungsfähigkeit in ihrem Arbeitsalltag zu leben, können sogar gestärkt aus Herausforderungen wie Corona und der damit verbundenen weltweiten Wirtschaftskrise hervorgehen. Das bedarf einer flexiblen und agilen Arbeitsweise sowie jeweils angepassten arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen, die es Betrieben und Mitarbeitenden ermöglicht, je nach aktueller Situation zwischen einem Arbeiten im Krisenmodus und dem „Normalzustand“ zu wechseln. Je trainierter Unternehmen hier in der Umsetzung sind, je gewohnter es für Mitarbeitende sein wird, innerhalb kurzer Zeit in einen anderen Arbeitsmodus umzuswitchen, desto stabiler und sicherer werden Menschen und Unternehmen bei zukünftigen Herausforderungen sein. Es wird unumgänglich sein, tradierte Geschäftsmodelle an eine agile Unternehmenskultur anzupassen.
Flexibilisierung Arbeitsort
Der Arbeitgeber ist aufgrund des sogenannten Direktions- und Weisungsrechts für den Arbeitsplatz, dessen Einrichtung und gesunde Ausgestaltung zuständig. Er ist es auch, der bestimmt, wo der Arbeitnehmer arbeitet (arbeiten darf). Bislang gingen der Standort des Arbeitgebers und der Arbeitsort häufig miteinander einher. Für agiles Arbeiten zählen die individuellen Bedürfnisse, Anforderungen und Wünsche der Arbeitenden und so kann der Arbeitsort (sofern möglich) aber auch völlig unabhängig vom Firmenstandort sein und dazu auch noch ständig wechseln. Allen voran liegt Home-Office hier im Trend.
Was ist der Unterschied zwischen Home-Office und mobilem Arbeiten?
Eine sehr gute Frage! Von zuhause arbeiten – die einen sagen Home-Office dazu, die anderen nennen es mobile Arbeit und es ist nicht nur eine sprachliche Feinheit. Auch wenn wir das in unserem Alltag so meinen, so haben beide Arbeitsweisen rechtlich unterschiedliche Anforderungen.
Von Home-Office sprechen wir immer dann, wenn der Mitarbeiter seine Tätigkeit von zuhause aus erledigt. Wird die Tätigkeit dabei ausschließlich von einem festen Arbeitsplatz in den Räumen des Mitarbeiters zuhause ausgeübt, bezeichnet das (deutsche) Gesetz dies als Telearbeit. Im Gegensatz zum mobilen Arbeiten sind bei der Telearbeit andere Arbeitsorte, wie z.B. im Café, im Ferienhaus oder im Coworking-Space ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass für das feste Arbeiten an einem Telearbeitsplatz im Eigenheim besondere Regelungen zur Anwendung kommen, die bestimmte Auflagen an einen solchen Arbeitsplatz und bestimmte arbeitsschutzrechtliche Überprüfungen an den Arbeitgeber stellen.
Bei „mobiler Arbeit“ gibt es das nicht. Eine solche ist wesentlich allgemeiner und weiter gefasst, was Arbeiten an verschiedenen Orten anbelangt. Für mobile Arbeit gibt es keine gesetzliche Definition. Es ist auch nicht zwingend eine Vereinbarung vorgeschrieben und es gibt keine besonderen Auflagen an den Arbeitgeber bezogen auf den Arbeitsschutz.
Aktuell sorgt jetzt auch noch einmal (in Deutschland) die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (vom 20.08.2020) für Klarheit. Diese Arbeitsschutzregel konkretisiert die Anforderungen an den Arbeitsschutz in Hinblick auf SARS-CoV-2. In ihr findet sich jetzt zum ersten Mal eine Begriffsbestimmung für Home-Office und mobile Arbeit und sie legt darin fest, dass Home-Office im Sinne einer zeitweiligen Tätigkeit im Privatbereich und z.B. unter Benutzung tragbarer IT-Systeme (z.B. Notebooks) eine Form des mobilen Arbeitens ist.
Welche Regelungen/Auflagen gibt es dabei als Arbeitgeber zu beachten?
Auch wenn der Arbeitgeber grundsätzlich den Arbeitsort festlegen darf, gilt dies nicht für Telearbeit, Home-Office oder mobiles Arbeiten, denn diese sind keine Betriebsorte. Weder das eine noch das andere kann einseitig angeordnet werden und ist nicht vom sogenannten Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst. Das gilt umgekehrt genauso für den Mitarbeitenden: Auch er darf nicht einseitig entscheiden, seine Tätigkeit aus dem Home-Office zu erfüllen oder mobil zu arbeiten.
Es bedarf daher einer vertraglichen oder rechtlichen verbindlichen Vereinbarung für beide Seiten. Diese kann einzelvertraglich mit den jeweiligen Mitarbeitenden geregelt werden oder kann auch durch eine kollektivrechtliche Betriebsvereinbarung erfolgen, sofern ein Betriebsrat vorhanden ist. Wesentliche Regelungspunkte dabei sind z.B. die Begründung und die Ausgestaltung sowie die mögliche Beendigung des alternativen Arbeitsplatzes, die Einrichtung des Arbeitsplatzes bzw. die Übernahme von Kosten, Erreichbarkeits- und auch Nichterreichbarkeitszeiten bis hin auch – zumindest beim Telearbeitsplatz – zur Durchführung der Gefährdungsanalyse und damit einem Zutrittsrecht des Arbeitgebers.
Auch Datenschutz und die Datensicherheit sind bei Home-Office und mobiler Arbeit zu gewährleisten: Betriebliche und personenbezogene Daten sind geheim zu halten und vor Fremdzugriff zu schützen. Hierfür sind Vorkehrungen wie z.B. Einschränkungen des Zugangs – wie passwortgeschützte Zugriffe – zu Geräten und/oder Unterlagen zu treffen. Hier gilt das Gleiche wie sonst auch: Unternehmen sind in der Verantwortung, den Datenschutz sicherzustellen und den Arbeitnehmer entsprechend zur Einhaltung der Vorkehrungen anzuweisen.
Flexibilisierung der Arbeitszeit
Agiles Arbeiten trägt nicht nur den individuellen Bedürfnissen in Bezug auf den Arbeitsort Rechnung, sondern auch in punkto Arbeitszeit. Sofern möglich sollten Arbeitnehmer in Abstimmung mit ihrem Arbeitgeber auch selbst über ihre Arbeitszeit entscheiden können. Regelungen über den Zeitrahmen von Arbeit und Ruhepausen, die den Arbeitnehmer vor Entgrenzung der Arbeitszeit und Überforderung schützen sollen, schränken gleichzeitig die Flexibilität der Arbeitszeit stark ein. Genau genommen ist die im Rahmen von New-Work übliche Selbstbestimmung der Arbeitszeit nicht immer mit dem geltenden Recht vereinbar.
Welche Umsetzungsmöglichkeiten gibt es im Rahmen des geltenden Rechts?
Im Rahmen der gesetzlich erlaubten Arbeitszeit können ggf. betriebliche Arbeitszeitmodelle um mehr individuelle, einzelvertragliche Formen angereichert werden. Für Arbeitgeber und Mitarbeiter kann sich insoweit ein „agiler Spielraum“ ergeben, entsprechend ihren wirtschaftlichen, unternehmerischen und persönlichen Bedürfnissen, direkt Gestaltungsräume zu verhandeln. Die Flexibilisierung von Arbeitszeit ist eine wirkliche umfassende Gestaltungsaufgabe im Unternehmen, die über das „reine Modelle implementieren“ hinausgeht.
Welches Modell passt am besten zu welchem Betrieb?
Die Bereitschaft zu individuellen Lösungen ist auf Seiten der Unternehmen als auch der Mitarbeitenden gefragt. Für eine sinnvolle Gestaltung, die für die jeweiligen wechselseitigen Bedürfnisse passt, gibt es wenig „Blaupausen“, auf die einfach „eins-zu-eins“ zurückgegriffen werden kann. Es bedarf hier schon eher spezifischer Möglichkeiten und Gestaltungen. Es bedarf der Klärung des betrieblichen Bedarfs wie beispielsweise: Umfang, Auslastung und Erreichbarkeitszeiten genauso wie die Entscheidung, wie weit Arbeitszeiten weiterhin kontrolliert werden wollen. Gleichermaßen sind genauso die Wünsche der Mitarbeitenden zu klären, wie z.B. Reduzierung, Zeitraum, Hintergründe und Motivationen… Das erfordert einen kommunikativen, kreativen und planerischen Aufwand, der erst einmal getätigt werden muss, – egal ob von der Führungskraft, der Personalabteilung, vom Team oder auch vom Mitarbeiter.
Arbeitszeiterfassung – Das Ende von agiler Arbeit?
Nach dem EuGH-Urteil im Mai 2019 müssen Arbeitgeber in der EU zudem die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer systematisch aufzeichnen. Die Mitgliedsstaaten der EU müssen die Unternehmen zu einem objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystem verpflichten. Die Pflichten betreffend Zeitaufzeichnung werden damit in Deutschland künftig erheblich erweitert.
Wie wird sich, glauben Sie, das EuGH-Urteil auf die nationalen Regelungen in Deutschland konkret auswirken?
Das Urteil hat wirklich für viel Wirbel gesorgt und wird kontrovers von Arbeitgebervertretern, Gewerkschaften und Beratern diskutiert. Für relativ unwahrscheinlich halte ich, dass der Gesetzgeber genau vorgeben wird, wie die Zeiten zu erfassen sind. Hier hat der Arbeitgeber also alle Möglichkeiten, dies möglichst einfach und auch mittels technischer Lösungen zu gestalten. Es müssen wohl weder wieder die Stechuhr ausgepackt noch lange Excel-Listen befüllt werden.
Wann, glauben Sie, wird die Umsetzung der Regelungen in Deutschland stattfinden?
Gegenwärtig ist nicht absehbar, wie diese Entscheidung nunmehr in nationales Recht umgesetzt wird. Bisher enthält das deutsche Recht mit Hinblick auf eine Aufzeichnungsverpflichtung eine Regelung in § 16 Abs. 2 ArbZG, die insbesondere bei der Vertrauensarbeitszeit in der Praxis zur Anwendung kam: Danach sind Arbeitgeber verpflichtet, nur die über die werktägliche Arbeitszeit (acht Stunden) hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Eine bestimmte Form ist dabei nicht vorgeschrieben. Bereits heute werden die Aufzeichnungen der Arbeitszeit dann vielfach von Arbeitnehmern selber vorgenommen.
Lässt sich, Ihrer Meinung nach, eine Arbeitszeiterfassung mit agilem Arbeiten und einer New-Work-Kultur überhaupt vereinbaren?
Sowohl bei New-Work als auch bei agiler Arbeit geht es um einen hohen Grad an Selbstbestimmung bei Mitarbeitenden. Doch wer sagt denn, dass allein eine Erfassung die Selbstbestimmung einschränken muss? Ist es nicht vielleicht sogar förderlich für ein Vertrauen, wenn durch eine korrekte Erfassung beide Arbeitsvertragsparteien einheitliche Daten über die Arbeitszeit zur Verfügung haben? Schließlich verhandeln wir in Arbeitsverträgen (immer noch) die zu leistende Arbeitszeit. Zwar kommt es in der Regel nicht auf die Präsenz bei der Arbeit sondern auf den Erfolg an – doch letztendlich „verkaufen“ Mitarbeiter ihre Zeit an den Arbeitgeber, um dann diesen Erfolg zu erbringen. Anders als bei der Vertragsgestaltung eines Selbständigen, der für ein bestimmtes Werk oder einen Dienst „beauftragt“ wird, stellt ein Mitarbeiter seine Zeit zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund kann eine Transparenz über die geleisteten Stunden sowohl für den Mitarbeitenden als auch für das Unternehmen durchaus hilfreich sein, auch den eigenen (Arbeits-)Vertragsinhalt hinsichtlich der vereinbarten Stunden immer wieder überprüfen zu können.
Agiles Arbeiten
Die Veränderung der Zusammenarbeit und damit auch die Entscheidungsfindung im Kontext der Digitalisierung werden als agiles Arbeiten bezeichnet. Zum einen geht es um die Einführung von Teams, die agil arbeiten, wie diese Teams gebildet werden und worauf dabei zu achten ist. Zum anderen ist aber auch zu berücksichtigen, wie die Methodik des agilen Arbeitens eingeführt werden kann.
Was versteht man unter agiler Zusammenarbeit/agilen Teams?
Agilität ist kein Selbstzweck und braucht – um erfolgreich wirken zu können – einen ganz klaren Orientierungsrahmen. Der Kunde und das Produkt spielen hier eine sehr zentrale Rolle. Agilen Methoden wie z.B. Scrum oder Design-Thinking ist gemeinsam, dass sie Komplexität reduzieren und Transparenz schaffen. Zudem fördern die meisten eine schnelle Teilung von Wissen und unterstützen ein vernetztes miteinander arbeiten. Dadurch werden Vorgänge, Prozesse, Ergebnisse, Kommunikation und Wissen durchsichtig. All das soll dem Kunden und dem Produkt nutzen und damit Chaos und ein „einfach ziellos drauf losmachen“ genau vermieden werden.
Für agile Teams ist kennzeichnend, dass sie sich aus Mitarbeitern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und aus verschiedenen Fachrichtungen zusammensetzen. Sie sind damit – im Gegensatz zur klassischen funktionalen Teamzusammensetzung – cross-funktional besetzt: So können z. B. ein Entwickler, ein Produktmanager und ein Kollege aus dem Vertrieb oder Marketing an einem Projekt oder Produkt zusammenarbeiten. Typisch für diesen Kontext: Die einzelnen Aufgaben sollen sich schnell an unterschiedliche Notwendigkeiten anpassen. Fehler sollen schnell identifiziert, gemeinsam analysiert und primär als Lernchance und Wissenserweiterung verstanden werden. Ausschlaggebend für die Koordination der Aufgaben und als Orientierungsrahmen für die Teammitglieder ist immer das gemeinsame Ziel: Das Produkt oder das Projekt.
Welche Rolle nimmt die Führungskraft bei agiler Arbeit ein?
Die Umstellung auf ein agiles Framework, wie z.B. bei Scrum, wirkt sich unmittelbar auf die Arbeitsinhalte der Führungskräfte aus. Durch die Einführung neuer Steuerungsrollen wie Product-Owner, Scrum-Master und selbstorganisierte Teams haben Führungskräfte weniger an Steuerungs- und Entscheidungsbefugnis – zumindest, was die reine Arbeitsorganisation anbelangt. Ihre Aufgaben als disziplinarische Vorgesetzte werden dadurch alleine nicht berührt. Stellt sich jedoch das gesamte Unternehmen agil auf, z.B. bei einer sogenannten agilen Transformation, kann sich die Rolle der Führungskräfte durch den Entzug von Führungsverantwortung – z. B. auch der disziplinarischen Verantwortung – komplett verändern und nicht mehr ihrem bisherigen Tätigkeitsprofil, das im Arbeitsvertrag vereinbart wurde, entsprechen. Eine solche Änderung kann nicht allein durch eine Anweisung des Arbeitgebers vollzogen werden. In diesem Fall ist bei der Anpassung des veränderten Tätigkeitsprofils im Arbeitsvertrag ein Einvernehmen der Führungskraft rechtlich notwendig.
Wo stößt die Selbstorganisation an rechtliche Grenzen? Welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten muss der Arbeitgeber selbst wahrnehmen?
Selbstorganisation stößt dort auf rechtliche Grenzen, wo die Aufgaben oder Verantwortlichkeiten nur vom Arbeitgeber selbst wahrgenommen werden dürfen. Hierzu zählen insbesondere die Einhaltung des Arbeitsschutzes oder auch die Haftung – z.B. als Geschäftsführer oder Vorstand. Auch konkrete Eingriffe in arbeitsvertragliche Beziehungen, wie z.B. der Ausspruch einer Kündigung oder einer Abmahnung: Diese darf nur der Arbeitgeber oder in Vertretung eine von ihm ernannte und bevollmächtigte Person als „Vertragspartner“ des betreffenden Mitarbeiters vornehmen. Das muss nicht bedeuten, dass ein selbstorganisiertes Team auf eine Kündigung eines Teammitglieds keinerlei Einfluss hat. Dieser bezieht sich nicht auf die formale Vornahme der Beendigung einer arbeitsvertraglichen Beziehung, sondern auf die „moralische Verpflichtung“, dieser vorzubeugen.
Zur Person
Britta Redmann ist Rechtsanwältin und Expertin für agiles Arbeiten und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in Arbeitsrecht, Mediation und Coaching. Sie hat zahlreiche Bücher rund um das Thema “Agile Arbeit” verfasst.
Mehr Infos rund um das Thema „agiles Arbeiten“
Britta Redmann: Agile Arbeit rechtssicher gestalten, Haufe Verlag